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Industrie 4.0

„Kein Zurück in den Offline-Modus“

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Bedrohungsszenario Cybersecurity: Im Interview spricht Dr. Helmut Leopold, Leiter des Center for Digital Safety & Security am Austrian Institute of Technology, über eine Problematik zwischen globalen Abhängigkeiten, wirtschaftlichen Chancen und gesellschaftlichem Auftrag.

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Dr. Helmut Leopold

Head of Center for Digital Safety & Security AIT © Foto: AIT / Picturepeople

Welche Potenziale, aber auch Gefahren sind mit der Digitalisierung und Vernetzung heute verbunden?

Wir haben einen Zustand der Digitalisierung und Vernetzung erreicht, der sehr eng mit der realen Welt verwoben ist. Bis dato war es immer möglich, im Privat-, aber auch im Geschäftsleben wieder zurück in den alten Offline-Modus zu gelangen, wenn etwas nicht richtig funktioniert hat. In der industrialisierten Welt sind nicht nur wir Menschen miteinander verbunden, sondern wir vernetzen auch Maschinen. Wir sehen nun aber, dass wir einen Zustand erreicht haben, in dem wir nicht mehr in unser altes Geschäfts- und Privatleben zurückkehren zu können, wenn in unserer digitalen Welt etwas nicht mehr funktioniert. Und das ist das Grundproblem, das noch nicht so richtig gesehen und verstanden wird.

Das heißt, ohne Digitalisierung können wir gewisse Dinge nicht mehr (richtig) tun oder durchführen?

Absolut! Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass ohne Vernetzung das Brot nicht mehr im Supermarkt ankommen kann, weil man dafür auf eine Datenbank zugreifen muss, um zu wissen, wohin das Brot geliefert wird und welche Route man dafür einschlagen muss – ohne Computer und Netz ist das heute unmöglich. In der Industrie und Produktion ist niemand mehr offline. Wir haben mittlerweile einen vernetzten Zustand erreicht, im dem es ohne globale Kommunikation, Verbindungen mit dem Internet und Funktionen der Informationstechnologie einfach nicht mehr geht. Wenn wir noch einen Schritt weiter denken und uns vorstellen, dass alle Maschinen miteinander vernetzt sein werden, dann ist der Rückschritt in ein nicht-digitales Leben und Arbeiten nicht mehr möglich. Ich sehe aber gleichzeitig auch das Potenzial, dass wir mit Hilfe von Technik alle großen Fragen der Menschheit vielleicht nicht lösen, aber zumindest Ansätze dafür finden können. 

Welchen Stellenwert nimmt jetzt Cybersecurity in dieser komplexen Ausgangslage ein?

Für mich geht es bei Cybersecurity um den digitalen Raum als Ganzes. Technische Systeme, in denen eine Software involviert ist, können von außen angegriffen bzw. gesteuert werden. Diesem Bedrohungsszenario wird meines Erachtens heute in Österreich und auch in Europa nicht die notwendige Bedeutung beigemessen. Wenn in ein Haus eingebrochen wird, dann ist das zwar für den Einzelnen tragisch, aber unsere Gesellschaft wird dadurch in ihren Grundfesten nicht erschüttert. Wenn wir diesen Gedanken nun auf Cybersecurity umlegen, dann kann bei einem Einbruch in einen Produktionsbetrieb oder auch bei Privatpersonen eine Kettenreaktion ausgelöst werden. Durch die große Vernetzung und die wechselseitigen Abhängigkeiten sind potenziell sofort sehr viele betroffen. Die Konsequenzen sind dadurch wesentlich höher und damit nicht nur eine Bedrohung für unsere Gesellschaft, sondern auch für den Wirtschaftsstandort. Und schließlich ist es sehr wichtig, zu erkennen, dass Cybersecurity kein reines Technik-Thema ist, sondern nur durch das Einbeziehen der Benutzer, Prozesse und Organisationen behandelt werden kann und genau darüber brauchen wir einen Diskurs! 

Cybersecurity ist heute also ebenso eine politisch wie wirtschaftlich relevante Fragestellung? 

Genau! Wir sehen heute enorme wechselseitige Abhängigkeiten im globalen Kontext – sowohl bezüglich Materialien und Produkten als auch hinsichtlich von Daten und des Informationszuganges. Cybercrime, organisierte Kriminalität und Terrorismus im digitalen Raum können nur durch gemeinsame internationale Anstrengungen und globale Kooperation wirksam bekämpft werden. Dafür brauchen wir Spielregeln im internationalen Kontext. Alle Staaten der Erde sollten das gleiche Interesse haben, um unsere global funktionierende Kommunikationsinfrastruktur sicher und zuverlässig zu halten. Neben diesem klassischen Problembereich führt der globale Wettbewerb rund um Daten und Informationszugriff vor allem im Wirtschaftsbereich zu neuen Bedrohungsszenarien, welchen entsprechende Beachtung geschenkt werden muss. 

Stichwort Wettbewerb: Wie können und sollten nun Unternehmen Ihrer Ansicht nach agieren?

Ich muss als Unternehmer dafür sorgen, dass sich mein digitales Produktangebot von der globalen Konkurrenz absetzt. Höhere Sicherheitsstandards meiner Produkte und eingebaute intelligente Sicherheitslösungen mit einfachster Handhabung werden in Zukunft wichtige Produkteigenschaften sein, um sich von Konkurrenzprodukten abheben zu können. Dafür braucht es aber entsprechende Innovationsanstrengungen und enge Kooperationen zwischen Wissenschaft, Forschung, Industrie und öffentlicher Hand, um sich im globalen Wettbewerb durchzusetzen. Denn in Zukunft werden alle Produkte digital sein. 

Welche Lösungsansätze braucht es dafür aus Ihrer Perspektive für die Zukunft?

Grundsätzlich braucht es wesentlich mehr Bewusstsein für ein verändertes Verhalten als Benutzer digitaler Dienste, für jeden Bürger und jede Bürgerin. Verhalten im Internet und Bewusstsein für eine hohe Datensicherheit müssen zum Grundstein der Bildung unserer Kinder werden! Für unsere Produkte brauchen wir neue Designs und Ansätze, um sowohl Sicherheit, als auch Datenschutz inhärent in den Produkten von Beginn an einzubauen – das nennt man „Security & Privacy by Design“. Nur dadurch können wir wirtschaftliche Lösungen kombiniert mit einfachster Bedienbarkeit nachhaltig in der digitalen Welt sicherstellen. Wir brauchen klare Spielregeln für unsere vernetzte, digitale Welt. 

Warum sind dies alles so schwierige Themen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?

Die Entwicklungen der letzten Jahre sind in extrem kurzer Zeit passiert. Daher tun wir uns als Gesellschaft auch so schwer, darauf zu reagieren und steuernd einzugreifen, um die Technik nicht als Fluch zu erleben, sondern als Segen für uns alle zu gestalten. Wir alle, Stakeholder, Meinungs- und Entscheidungsträger, sind gefragt, diesen Lernprozess nun zu verkürzen. 


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