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Same-Day Delivery

Same-Day Delivery – Zukunft oder Fiktion?

Men wearing blue jean shirt receiving package from courier at the office
Men wearing blue jean shirt receiving package from courier at the office
iStock/Kerkez

Zwischen wochenlangen Paketsendungen per Pferdekutsche und dem dichten Markt an Logistik- und Kurierunternehmen liegen kaum mehr als zwei- hundert Jahre doch auch derzeit wird die Entwicklung der Warenzustellung noch vorangetrieben.

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Thomas Netzer

Leiter des Transport-, Logistik- und Infrastrukturbereichs von McKinsey, Deutschland

Same-Day Delivery war lange Zeit ein Hype in den USA – welche Auswirkungen hatte das auf den europäischen Markt? Was tut sich diesbezüglich in Österreich und Europa?

Thomas Netzer: Die taggleiche Zustellung ist auch in den USA noch nicht aus dem Hype-Stadium herausgewachsen. Dennoch treiben sowohl in Nordamerika als auch in Europa eine Vielzahl von Startups, große Internetfirmen und etablierte Logistiker das Thema derzeit mit Hochdruck voran. Die Aktivitäten konzentrieren sich dabei bisher insbesondere auf Länder wie England, USA und Deutschland, in denen der Onlinehandel bereits eine starke Stellung hat.

Der Nutzen für den (bequemen) Konsumenten liegt klar auf der Hand, aber was sind die Vorzüge für Unternehmer? Entstehen nicht immense Kosten durch zwischengeschaltete
Kurier- bzw. Logistikunternehmen? Braucht es neue Typen von Netzwerken, dezentralisierte Lagersysteme?

Thomas Netzer: Reine Online-Händler können die Bequemlichkeit einer Online-Bestellung mit dem direkten Warenzugang, den ein stationärer Händler bietet, verbinden. Die höheren Kosten für taggleiche Zustellung können sie zum Teil an den Konsumenten weiterreichen. Höhere Zustellkosten können außerdem durch entstehende Vorteile wie höhere Konversionsraten, niedrigere Retourenquoten und größere Kundentreue kompensiert werden. Um Same-Day Delivery flächendeckend anbieten zu können, muss in ein Netzwerk von Lagern investiert werden, das sich jedoch nur bei entsprechendem Volumen lohnt. Amazon hat beispielsweise sowohl in den USA als auch in Europa sukzessive sein Netzwerk von Lagern ausgeweitet und kann somit in immer mehr Städten Same-Day Delivery anbieten. Multikanalhändler hingegen verfügen in der Regel mit ihren Filialen bereits über die lokale Warenverfügbarkeit, die für die taggleiche Zustellung benötigt wird. Und wenn sie die Bestellungen in ihren Filialen versandfertig machen, erhöhen sie dadurch die Flächenproduktivität.

Wie lässt sich Same-Day Delivery logistisch realisieren? Entstehen nicht neben Unwägbarkeit wegen unberechenbaren Zeitfaktoren viel zu hohe Aufwände an Transportmitteln, wird dadurch nicht das Verkehrsaufkommen massiv vergrößert?

Thomas Netzer: Same-Day Delivery lässt sich logistisch realisieren, wenn sowohl der Händler als auch der Logistiker gewisse Kriterien erfüllen. Der Händler benötigt lokal verfügbare Waren und die entsprechenden Information darüber, um bestimmen zu können, ob für den Käufer eine taggleiche Zustellung möglich ist. Außerdem muss er das Fulfillment der Sendung in sehr kurzer Zeit realisieren können. Zusätzlich braucht es eine flexible Lösung für die letzte Meile. Das Verkehrsaufkommen steigt dadurch jedoch nicht zwangsläufig. Denn erstens fährt ein Kurier nicht nur einzelne Sendungen durch die Stadt und zweitens wird für den Kunden der ein oder andere Trip zum Einzelhändler überflüssig.

Es gibt verschiedene Wege, Same-Day Delivery zu realisieren, wie Tiramizoo in Deutschland oder Shutl in Großbritannien zeigen – für wen ist welche Strategie ratsam?

Thomas Netzer: Die verschiedenen Ansätze sind insbesondere der Ausgangsposition der jeweiligen Spieler geschuldet. Etablierte Paket-Logistik-Dienstleister versuchen, ihre bestehende Infrastruktur zu nutzen, während neue Marktteilnehmer einen „Asset-light-Ansatz“ vorziehen. Unternehmen wie Tiramizoo und Shutl nutzen bestehende Kurierkapazitäten im Markt, sodass sie direkt zu Grenzkosten produzieren können.

Ist Same-Day Delivery nicht auch abhängig von der Bevölkerungs- und Handelsdichte und dadurch auf bestimmte sowohl geographische als auch ökonomische Räume beschränkt?

Thomas Netzer: Um Same-Day Delivery zu einem akzeptablen Preis anbieten zu können, muss der Kurier eine kritische Schwelle an Stopps pro Route und Stunde schaffen. In manchen Gegenden kann er diese Schwelle auf Grund von geringer Nachfragekonzentration nicht erreichen, das ist wahr.

Online-Retailer wie Amazon, Google oder Ebay versuchen Same-Day Delivery als Alleinstellungsmerkmal für sich zu behaupten – ist die Sofortlieferung als Dienstleistung nur von E-Commerce-Riesen möglich?

Thomas Netzer: Die taggleiche Zustellung ist nicht nur durch die großen Onlinehändler möglich. Auch Multikanalhändler mit lokaler Warenverfügbarkeit können zusammen mit Logistik-Dienstleistern Same-Day Delivery erfolgreich einführen. Google und Ebay sind auch keine reinen Online-Retailer, sondern Internetfirmen, die ein großes Interesse daran haben, konventionelle Händler zu befähigen, zu Multikanalhändlern zu werden. Mit dem bisher fehlenden Puzzlestück „lokale Same-Day Delivery“ können sie diese zu Kunden für ihre digitalen Dienstleistungen wie z.B. Werbung, Listing, Payment usw. machen.

Worauf muss sich der konventionelle Einzelhandel einstellen, wird er zukünftig gar überflüssig werden? Sind Multikanalhändler die wahrhaft Profitierenden? Oder sind Online-Shops und E-Commerce die Handelsräume der Zukunft?

Thomas Netzer: Lokale taggleiche Zustellung stellt für alle Händler eine Chance dar. Zwar leiden in erster Linie konventionelle Einzelhändler unter dem Onlinehandel. Same-Day Delivery kann für den stationären Handel aber auch eine Chance sein, selbst zu einem Multikanalhändler zu werden. Ob nun Multikanal- oder reine Online-Händler die „wahrhaft Profitierenden“ vom Trend zum schnellen Online-Kauf sind, lässt sich heute noch nicht beurteilen – in jedem Fall werden die Konsumenten eine weitere Kauf- und Belieferungsoption gewinnen.

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